H. Goren: Echt katholisch und gut deutsch

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Titel
Echt katholisch und gut deutsch. Die deutschen Katholiken und Palästina 1838 - 1910


Autor(en)
Goren, Haim
Erschienen
Göttingen 2009: Wallstein Verlag
Anzahl Seiten
476 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Roland Löffler, Jochen-Christoph Kaiser, Marburg FB Theologie

Jedes Buch hat seine Geschichte. Haim Goren, heute einer der führenden Geographiehistoriker und Wissenschaftsmanager Israels, begann erst spät, als Wissenschaftler zu arbeiten. Er lebte viele Jahre im Kibbutz und fand dann aber dank der Anregung seiner Lehrer Yehoshua Ben-Arieh, Ruth Kark (beide Jerusalem) und Alex Carmel (Haifa) zu den Themen, die seine Forschungen prägen sollten: Zur Analyse des europäischen Beitrags zur Wiederentdeckung und zum Aufbau des Heiligen Landes im 19. Jahrhundert. Goren hat sich auf diesem Gebiet auf zwei Themen spezialisiert: Die deutsche (und internationale) geographische Palästinaforschung sowie das deutsche katholische Wirken im Lande. Zum Ende seiner Berufslaufbahn, die er wesentlich am Tel Hai College im äußersten Norden Israels (zuletzt als Vizepräsident) verbrachte, legt er zwei Monographien in deutscher Sprache vor, die beide im Wallstein Verlag in Göttingen erschienen sind: 2003 erschien «Zieht hin und erforscht das Land». Die deutsche Palästinaforschung im 19. Jahrhundert. 2009 folgte «Echt katholisch und gut deutsch». Die deutschen Katholiken und Palästina 1838–1910. Der letztgenannte Band hat seine Ursprünge, ungewöhnlich genug, aber biographisch erklärbar, in Gorens Magisterarbeit. Darin untersuchte er vor rund einem Vierteljahrhundert die Entstehung des deutschen-katholischen Hospizes Tabgha in Galiläa, die den israelischen Jugendlichen seiner Generation als Jugendherberge in romantischer Lage ein Begriff war. 2009 legt Goren also die dank eines reichen Forscherlebens quasi überarbeitete Qualifikationsarbeit in deutscher Sprache vor. Den einprägsamen Titel seiner 476seitigen Studie «Echt katholisch und gut deutsch» entnimmt Haim Goren dem Banner des Palästina-Vereins der Katholiken Deutschlands. Er will mit diesem Motto auf die Abhängigkeiten der im Heiligen Land aktiven deutschen Katholi-ken auf die «Ereignisse im Mutterland» hinwiesen, die «vielleicht stärker als jeder andere Faktor» das Profil dieser Gruppe ausmachten (16). Methodisch versteht sich Goren als historischer Geograph, der minutiös und stark empirisch eine Landkarte des deutschen-katholischen Engagements und seiner Folgen in Palästina entwirft. Dabei bezieht er sich auf einen Zeitraum von wenigen Jahrzehnten, die zwischen dem erstarkenden Interesse Roms am Heiligen Land und der Einweihung der letzten deutschen-katholischen Einrichtungen dort liegen. Die zahlreichen Detailinformationen zu Einzelpersonen und Organisationen im Text sowie der umfangreiche bibliographische Anhang belegen eine sehr gewissenhafte Recherchearbeit. Zudem legt Goren großen Wert darauf, Interessen, Position und Selbstwahrnehmung der Katholiken in Deutschland in ihrer Wirkung auf das Engagement im Heiligen Land darzustellen.

Die Studie ist in sechs Kapitel gegliedert. Die ersten beiden bieten einen Überblick der für das deutsche-katholische Wirken relevanten (kirchen)politischen und geistesgeschichtlichen Entwicklungen in Europa und Palästina. Dabei arbeitet Goren die Grundmotive heraus, die für das katholische Engagement im Heiligen Land bedeutsam waren: (1) Ohne eine romantische Idealisierung des religiösen Sehnsuchtsorts Jerusalem bzw. des Landes der Bibel hätten sich niemals derart weitreichende europäische Aktivitäten entfaltet – ganz gleich ob sie katholischer, orthodoxer oder evangelischer Natur waren. (2) Die erstarkenden Nationalismen in Europa schlugen sich auch im historischen Palästina in einem starken Konkurrenzverhältnis zwischen Frankreich und Deutschland nieder, beeinflussten aber auch alle anderen, stets national orientierten, dort aktiven katholischen Organisationen. Dieser Aspekt wird quasi zum Leitmotiv von Gorens Buch. (3) Der Nahe Osten gewann auch durch die kolonialistischen Bestrebungen Deutschlands gegen Ende des 19. Jahrhunderts und ein zunehmend globales Denken der deutschen Außenpolitik an Bedeutung. Hinzu trat die preußische Allianz mit dem Osmanischen Reich. (4) Der Kulturkampf und die geschwächte soziopolitische Stellung der Katholiken im deutschen Reich haben laut Goren dazu geführt, dass die katholischen Palästina-Aktivisten mit dem protestantischen Engagement im Nahen Osten gleichziehen wollten. (5) Nicht ohne Folgen für das deutsche-katholische Engagement blieb auch der innerkatholische Machkampf in Jerusalem zwischen den verschiedenen katholischen Orden und Institutionen im Zuge eines verstärkten römischen Interesses und der Wiedererrichtung des Lateinischen Patriarchats (1847). Insbesondere die Franziskaner, seit 1517 mit der eigenen Ordensprovinz «Custodia Terrae Sanctae» einflussreich, waren eifrig bemüht, ihr Wächteramt über die heiligen Stätten – auch gegen den Patriarchen – zu verteidigen.

Diesem anhand vielfältiger Faktoren be-schriebenen Rahmen des Geschehens folgt in vier Kapiteln die Darstellung der sich darin bewegenden Einzelpersonen und Institutionen. Goren bietet biografische Porträts wie organisationshistorische Analysen zu Vereinen und Institutionen, die das deutsch-katholische Wirken im Heiligen Land unterstützten oder intensiv prägten. Er zeigt, dass es drei Phasen des Engagements gab: Zwischen 1838–1875 die des Planens, Spendensammelns und der Philanthropie sowie von 1875–1895 der Umsetzung von Ideen und der Gründung von Institutionen, die dann von 1895–1910 weiter ausgebaut und verfestigt wurden.

Prägend waren der bayerische König Ludwig I., der schlesische Franziskaner-mönch und Missionar Ladislaus Schneider, der in Köln 1855 gegründete, karitative und höchst erfolgreich Spenden sammelnde Deutsche Verein vom Heiligen Grabe und der etwas kleineren Palästina-Verein von 1885, gegründet in Aachen von führenden Köpfen des Zentrums. Es ist auffällig, dass sich das deutsche Palästina-Engagement vorwiegend in Zentren des kämpferischen Katholizismus bildete (Rheinland, Schlesien, Bayern). Interessant ist zudem, dass auch die von Joseph Görres herausgegebenen Historisch-politischen Blätter für das katholische Deutschland das deutsche sowie das österreichische Palästina-Engagement publizistisch unterstützten und für Spenden (gerade in Bayern) warben (113; 121–129). Da zwei Vereine für ein Themengebiet zu viel waren, kam es 1895 zur Vereinigung im neuen Deutschen Verein vom Heiligen Lande (229–271). Goren zeigt dabei, wie sich mentalitätsgeschichtlich am Beispiel des Palästinaengagements ein genereller Trend im deutschen, politischen Katholizismus herausbildete: Raus aus der Nische, rein in den breiten Fluss des Nationalismus und der Kaisertreue – verbunden mit einer Aversion gegen das demokratische Frankreich (229f). Diese Haltung bedeutete im Heiligen Land einen Kampf gegen das französische Protektorat über die Katholiken des Orients, das allerdings von Papst Leo XIII. 1898 bestätigt wurde (98), der vom französischen Kardinal und Nahost-Kenner Benoit-Marie Langénieux massgeblich beeinflusst wurde. Sichtbarer Ausdruck der französischen Dominanz in Jerusalem war der 1893 fertiggestellte Prachtbau Notre Dame vor den Toren der Altstadt. Mit der Einweihung der vom Kaiser geförderten und von zahlreichen Spendern ermöglichten Dormitio-Abtei auf dem Zionsberg gelang es den deutschen Katholiken zwanzig Jahre später, nämlich 1910, endlich auch die Skyline Jerusalems mitzuprägen. Der Bau des deutschen Benediktiner-Klosters samt Marienkirche passte gut in die Zeit der Marienfrömmigkeit jener Zeit. Den theologisch bedeutsame Ort, an dem der Legende nach die Gottesmutter entschlafen sei und wo sich nur wenige Meter entfernt der Abendmahlssaal Christ befinde, hatte Kaiser Wilhelm II. während seiner Orientreise 1898 für 120.000 Reichsmark dem Sultan abgekauft und dem Deutschen Verein vom Heiligen Land übergeben. Die Eröffnung in Anwesenheit des Kronprinzen Eitel Friedrich von Preußen und von über siebenhundert deutschen Pilgern löste im katholischen Deutschland einen «Sturm der Begeisterung» aus «und wurde als Krönung der Leistungen Deutschlands beim modernen «Kreuzzug zu einer friedlichen Rückeroberung» der heiligen Stätten interpretiert, «einer Eroberung, die für die gesamte christliche Welt geschah», wie Goren die Stimmung jener Zeit interpretiert (347). Somit hatten auch die deutschen Katholiken endlich sowohl ihren Platz im internationalen katholischen Wettkampf in Jerusalem gefunden als auch eine gewisse Parität zu den deutschen Protestanten erreicht, die an nicht weniger prominenten Orten in der Altstadt seit 1898 die Erlöserkirche besassen und ebenfalls 1910 auf dem Ölberg die Auguste-Viktoria-Stiftung einweihten.

So wichtig der Wettkampf um die Präsenz an den Heiligen Stätten war, so endete hier das Engagement in Palästina keineswegs. Das umfangreichste Kapitel ist den deutschen-katholischen Einrichtungen im gesamten Land gewidmet – vom Erwerb oder Bau der Gebäude, über Funktion und programmatische Ausrichtung bis hin zu einzelnen prägenden Figuren (272–403). Dazu zählte zunächst der große Komplex am Jaffa-Tor in Jerusalem. Er umfasst die noch heute bedeutende, nach dem hoch engagierten Lazaristen-Pater Wilhelm Schmidt benannte und damals von Borromäerinnen geleitete Mädchenschule sowie ein Hospiz für Wissenschaftler und Pilger (später Paulus-Haus genannt). Ziel war es auch hier, der von französischen Dominikanern errichteten Ècole pratique d’études bibliques ein deutsches Forschungszentrum mit guter Bibliothek entgegenzusetzen, was aber wegen mangelnder Finanzen nicht recht glückte (292). Zudem errichteten die deutschen Katholiken im Jerusalemer Vorort Emmaus-Kubeibe ein «Landgut», das als landwirtschaftlicher Versorgungsbetrieb den Jerusalemer Anstalten dienen und zu einer katholischen deutschen Handwerkerkolonie heranwachsen sollte. Auch hier waren die Pläne größer als die Umsetzungsmöglichkeiten. Es gab weder genügend deutsche-katholische Handwerker im Heiligen Lande noch hatte man ausreichend Budget, um einen ganzen Landstrich urbar zu machen (296). Immerhin entstand in Emmaus ein bis heute existierendes Seniorenheim in katholischer Trägerschaft. Ein weiteres Prestigevorhaben der deutschen Katholiken war das eingangs erwähnte Pilgerhospiz Tabgha am See Genezareth, unweit des sakralgeographisch wichtigen Ortes der Speisung der Fünftausend. Dort sollten sich ebenfalls deutsche katholische Aktivisten ansiedeln, Schulen gründen und im missionarisch-sozialen Sinne ins Land hineinwirken. Doch wieder fehlten Menschen und Geld zum großen Durchbruch. Immerhin kam es zum Bau eines angesehenen, aber niemals rentablen Pilgerhospizes, das sich seit den 1890er Jahren regelmäßiger deutscher Gruppenbesuche erfreute (325ff)

Goren resümiert ernüchternd (404–417), dass das deutsche-katholische Engagement trotz programmatischer Vielfalt insofern gescheitert sei, da sich keine größere Gruppe im Heiligen Land dauerhaft angesiedelt habe. Von den großen deutschen Auswanderungswellen des 19. Jahrhunderts habe Palästina nicht mehr profitieren können. Den deutschen Katholiken fehlte trotz bemerkenswerter Spendenbereitschaft das Geld, um im Wettkampf mit den französischen Katholiken vor Ort mithalten zu können.

Seinem Vorhaben, gewissermaßen eine Landkarte historischer Prozesse und ihrer Folgen im Heiligen Land so detailliert wie möglich zu zeichnen, ist Goren gerecht geworden. Für jeden, der sich mit dem deutschen-katholischen Palästina-Engagement im 19. Jahrhundert beschäftigen möchte, bietet der Band einen reichen Fundus. Goren hat ein sorgfältig recherchiertes und reiches Kompendium vorgelegt, das für alle nachfolgenden Beschäftigungen mit dem Themengebiet einen hohen Standard setzt.

Zitierweise:
Roland Löffler: Rezension zu: Haim Goren, «Echt katholisch und gut deutsch». Die deutschen Katholiken und Palästina 1838–1910. Aus dem Hebräischen von Markus Lemke, Wallstein Verlag, Göttingen, 2009. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions und Kulturgeschichte, Vol. 108, 2014, S. 511-514.

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